Geschichte des Karate
Vor
der Jahrhundertwende gab es verschiedene Bezeichnungen für die
waffenlose Kampfkunst Okinawas, die uns heute als Karate bekannt ist.
Die
gebräuchlichste Form war lange Zeit einfach das ,,Te", das mit
einem Ideogramm geschrieben wurde, das ,,Hand" oder auch ,,Hände"
bedeutet, da es in der japanischen Sprache keine besondere
Pluralbezeichnung gibt. Neben dem Ideogramm für ,,Te" wurde ein
weiteres Zeichen benutzt, das im Japanischen sowohl als ,,To-de"
als auch als ,,Kara-te" gelesen und ausgesprochen werden kann.
Dieses hinzugesetzte Zeichen ist das Symbol für die chinesische
Tang-Dynastie (618 - 906), deren Kultur Japan und die Ryukyu - Inseln
stark beeinflußte.Die
Bewunderung der chinesischen Kultur dieser Dynastie war so groB, daB bis
heute das Ideogramm für die ,,T"ang - Dynastie die Bedeutung China
hat. So kann man dieses zusammengesetzte Zeichen als „T"ang -
Hand" oder ,,China - Hand“ lesen.
Diese Bedeutung weist auf den
großen Einfluß des chinesischen Kung - Fu auf die Kampfkunst Okinawas
hin. Bei Aufnahme der Kunst in den Sportunterricht der okinawischen
Schulen 1904 wurde das Symbol fur ,,To-de" verwendet und als
,,Karate" ausgesprochen.Im
Jahre 1906 tauchte in der Literatur zum ersten Mal ein anderes,
zweisymboliges Ideogramm auf. Diese Zeichen konnten in Worten ausschließlich
als ,,Karate" ausgesprochen werden und ist heute das allgemein übliche
Zeichen für die Kampfkunst Karate.Das
erste Symbol für ,,Kara" des neuen Ideogramms weist darauf hin,
daB Karate eine Kampfkunst ist, die ohne Waffen ausgeführt wird. Die
Zeichen stehen dann also für ,,Leere Hande". Nachdem zu Beginn des
20. Jahrhunderts Karate in Okinawa seinen esoterischen Charakter
verloren hatte, unternahmen auch einige okinawische Kampfkunstmeister
Reisen nach Japan, um ihre Kampfkunst dort publik zu machen. Offiziell
wurde erstmals 1915 in Japan Karate demonstriert. Gichin Funakoshi (Begründer
des Karate in Japan lebte 1868 - 1957) war als Repräsentant der Präfektur
Okinawa eingeladen worden, in dem damaligen Zentrum für Budo-Kunste in
Kyoto, dem Butoku-den, eine Demonstration zu geben. Wenngleich diese
Demonstration recht eindrucksvoll gewesen sein soll, blieb die erhoffte
Resonanz zunächst aus. Die Öffentlichkeit interessierte sich wohl doch
mehr für die traditionellen Budo-Kunste Japans, wie z.B. Kendo und
Judo.
Erst sechs Jahre später, anläßlich eines Besuches in Okinawa begeisterte den japanischen Kronprinzen Hirohito eine Demonstration Funakoshis und seiner Schüler so sehr, daB er das japanische Erziehungsministerum bat, sich eingehender mit dieser Sportart zu beschäftigen. Daraufhin wurde Funakoshi nach Tokyo zu Vorträgen über die Ursprünge und Geschichte des Karate eingeladen. Er erläuterte die Techniken und Kata mittels Fotografien und Tafeln und begeisterte mit einer anschließenden, überlegenen Darbietung die Zuschauer, unter denen sich viele bekannte Budoka befanden. Aus Funakoshis beabsichtigter Rückreise nach Okinawa wurde nichts, denn er wurde von vielen Seiten gebeten in Tokyo zu bleiben und Karate-Unterricht zu geben. So zeigten u.a. Prof. Kano, der Gründer des Judo, verschiedene Universitäten wie auch die Militärakademie Tokyos großes Interesse an der okinawischen Kampfkunst. Mit dem Entschluß Funakoshis, den Bitten um Verbreitung des Karate in Japan nachzugeben, setzte dieser einen Meilenstein in der Geschichte dieser Kampfkunst, die von Japan aus in der ganzen Welt bekannt werden sollte. Der erste Universitäts-Karate-Club entstand 1924 an der Keio-Universität in Tokyo mit Funakoshi als Ausbilder, in einem eher provisorischen Dojo. In den folgenden Jahren wurden Karate -Abteilungen an verschiedenen Universitäten und Hochschulen in und im Umkreis von Tokyo gebildet. Im Frühling 1936 war dann mit finanzieller Hilfe eines nationalen Komitees für Funakoshi ein eigenes Dojo fertiggestellt worden. Als Name für dieses Dojo wählte das Komitee die Bezeichnung Shotokan. „Shoto" war ein selbstgewählter Name Funakoshis, mit dem er chinesische Geschichte seiner Jugendzeit signierte und der ihm wohl als eine Art Beinamen erhalten blieb. „Kan" bedeute Halle. Der Name Shotokan wurde später immer wieder benutzt, um den Stil und die Unterrichtsweise von Funakoshi und seinen Schülern zu kennzeichnen. Noch in demselben Jahr wurde in Naha ein Treffen der namhaften okinawischen Karatemeister veranstaltet. Die Absicht dieses Treffens war es, neben verschiedenen anderen Aspekten des Karate, über die ausschließliche Verwendung eines einheitlichen Ideogramms für die Kampfkunst zu beraten. Der Entschluß wurde gefaßt, nur noch die neuen -eindeutigen- Zeichen zu benutzen. Mit dem Fallenlassen des alten Ideogramms wollte man die Assoziation mit China lösen, da man nunmehr das Karate als eine auf Okinawa eigenständig entwickelte Kampfkunst betrachtete. Der „geistige Vater" des Karate" in Japan schrieb mehrere Lehrbücher.
In dem wohl bedeutendsten Buch - „Karate-do Kyohan" - systematisiert er die Techniken und die verschiedenen Kata. Der besondere Gehalt liegt aber vor allem in seinen Darlegungen zum Verständnis der fundamentalen Grundlagen, der Kampfkunst, dem Karate - Do. Er legte mehr Wert auf die geistigen Inhalte als auf die physischen und er war ein strikter Gegner des Wettkampfsports Karate, der erst nach dem zweiten Weltkrieg durch seinen Schüler Nakayama kreiert wurde. Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges hinderte Funakoshi an der Weiterführung seiner Pläne. Der Shotokan in Tokyo war ausgebombt und der Sohn Funakoshis, der bereits Jahre zuvor das Training für seinen Vater übernommen hatte, starb. Gichin Funakoshi übernahm dann, nachdem er Tokyo für einige Jahre verlassen hatte, im Jahre 1947, fast 80-jahrig, erneut die Ausbildung an einigen Universitäten. Zwei Jahre später hatten seine früheren Studenten in Tokyo sein Shotokan-lnstitut wieder eingerichtet. Im selben Jahr wurde auch die Japan Karate Association (JKA) gegründet. Funakoshi wurde zum ehrenamtlichen Cheftrainer dieses japanischen Dachverbandes für Karate ernannt. Er starb 1957 im Alter von 84 Jahren. Zu seinen Schülern gehörten mit Otsuka, Obata, Oyama, Yamada, Egami, Nakayama und Kanazawa, die bekanntesten Instruktoren. Der Weg des Karate-Sports in die Bundesrepublik Deutschland war weit, denn auch lange nach dem zweiten Weltkrieg blieben Ju-jusu und Judo hier die einzigen Budo-Sportarten. Der Name ,,Karate" war wohl einigen Interessierten nicht unbekannt, aber es gab weder qualifizierte Ausbilder noch Lehrbücher in deutscher Sprache. Bei einem mehrwöchigen Training unter Leitung des Japaners Mochizuki nahmen in Südfrankreich erstmals deutsche Judoka an einem Karatetraining teil und kamen auf den Geschmack. Unter Ihnen befand sich Jürgen Seydel, der als der Pionier des deutschen Karatesports bezeichnet werden kann. Er hatte bereits Ende der dreißiger Jahre an der Bonner Uni mit dem Judotraining begonnen und sich seither mit vielen Formen asiatischer Selbstverteidigung befaßt. Gegen Ende der fünfziger Jahre entstanden in der Bundesrepublik Deutschland die ersten Karate-Interessenten-Gruppen. So formierte sich 1957 auf Initiative Seydels hin in Bad Homburg eine Gruppe von Judoka, die das erste Karate-Dojo in Deutschland gründete. Nun mußten erst einmal japanische Lehrmeister gefunden werden. Dennoch Anfang war gemacht.